Amphorenwein 2009 (Orange Wine)
Mysterium zwischen Saft und Wein.
Ist es das was einen Wein als Saft, oder Saft als Wein wahrnehmen lässt? Ein Mysterium das viele Fragen aufwirft und ebenso viele Antworten offen lässt.
Winzer/Weingut: Ewald und Brigitte Tscheppe, Werlitschhof, Leutschach/Steiermark, Österreich.
Lage/Herkunft: Gereift in einer 600l Amphore die für sechs Monate im Boden vergraben wurde.
Flasche/Etikett: Auf dem terracottafarbigen Tonkrug der vor uns am Tisch steht klebt ein kleines Stück Papier, auf dessen sandfarbigen Hintergrund das Werlitsch-Logo überdimensional gross aufgedruckt ist. Der tief in die Erde verwurzelte Baum der diese scheinbar ‘zusammenhält’ und unten in der grünen Bordüre schlicht und einfach Werlitsch eingedruckt. Das war´s mit ‘grossem Auftritt’ vorne.
Hinten steht auf einem ebenso kleinen Etikett in grün alles über den Wein und dessen Herkunft. Positiv der Hinweis, dass man den Wein am besten bei 14º geniessen sollte. Nicht Aussen- sondern Trinktemperatur. Ebenso der Hinweis auf die demeter-Zertifizierung sowie das Siegel welches garantiert, dass die Trauben für diesen Wein aus 100% biodynamischen Anbau stammen. Dazu ein wenig Patriotismus mittels Hinweis ‘Steirerland’ und österreichischer Landwein sowie sympathische 12% vol.
Vier Stunden bevor wir den Amphorenwein in die polierten Burgunderkelche lassen wird er in den grossen Ballon umgefüllt. Die Erfahrung mit solchen Weinen hat uns gezeigt, dass selbst aus den grössten Stinkern nach ein paar Stunden an der Luft oft ganz bezaubernde Duftpersönlichkeiten werden. Und deshalb sind wir auch geduldig und lassen dem Tropfen die Zeit um sich für seinen Auftritt fein zu machen.
Im Glas: Nach vier Stunden Luftaufnahme wandert der Amphorenwein ins Glas und zeigt dort eine Farbe, die im Labor eine sofortige Einweisung in die Klinik nach sich ziehen würde.
In der Nase: Hat der Wein unmittelbar nach dem Umfüllen nicht gerade seine ‘lieblichste’ Seite gezeigt und sich fast rüpelhaft in der Nase benommen, so präsentiert er sich jetzt zwar nach wie vor trüb wie ein Teich, aber immerhin bereits mit einer Erdigkeit vollgepumpt die schon beeindruckend ist. Ananas kurz vorm Zuckerschock riecht man, Orangenschalen und auch der Geruch einer wilden Wiese steigt hoch. Hören sich diese Aromen auch nicht gerade aussergewöhnlich oder sonstwie spektakulär an, so beeindrucken sie in der Nase umso mehr. Irgendwie riecht es weniger nach Wein als nach einem deftigen natürtrüben Saft aus Äpfeln, Maracujas und Ananas, welche sich zwischen Most und der finalen Weinwerdung befinden. Ein Duft der fasziniert, der einen ratlos und gleichzeitig noch neugieriger auf das was in den Mund kommt macht.
Im Mund: Ehrlich gesagt habe ich ad hoc keine Ahnung was da durch den Mund fliesst. Ist das, so wie es schon gerochen hat, nun naturtrüber Saft mit etwas Alkohol, oder ist das wirklich schon Wein? Es ist schlichtweg umwerfend, im positiven Sinn. Vor Saft triefende Maracujas und Bananenmus breiten sich anfänglich auf der Zunge aus und sogar Zitrusfrucht mischt ganz weit hinten mit. Der Tropfen steht wie eine Eins auf der Zunge, erfrischt, ist keck, saftig, würzig, ananassig. Eine Säure meldet sich zu Wort die schlicht beeindruckt, nicht übermütig, aber so frisch und lebendig in der Frucht integriert, dass man geneigt ist ein richtig grosses ‘Maul’ von diesem Elixier zu nehmen.
Der Wein ist gleichzeitig dicht und ebenso feingewirkt, fühlt sich federleicht im Mund an und verlässt den Gaumen erst nach sehr sehr langer Zeit wieder. Ich gebe zu mir vorzukommen, als stünde ein Mysterium vor mir, welches ich nicht greifen kann weil es so schemenhaft in seiner Art ist. Es ist dieses Gefühl von ‘zwischen zwei Stühlen zu sitzen’, zwischen Saft und Wein, beides zu spüren aber nichts eindeutig zuordnen zu können. Hätte diese Essenz keinen Alkohol oder gerademal 5%, dann wäre sie das ideale Erfrischungsgetränk weil es nicht süss, sondern nur von reifer, sogar ein wenig herber Fruchtsüsse dominiert ist und dehshalb gut gekühlt die absolute Labung wäre. So hat der Wein aber mit seinen 12% und aktuellen 14º das Zeug zum Überflieger weil er einem ein bisher völlig unbekanntes Genusserlebnis beschert. Es ist einfach betörend, umwerfend, verzaubernd. Es ist als wäre man am Ende einer Reise angekommen.
Nach zehn Stunden in der Karaffe kommt der Amphorenwein zum zweiten Mal ins Glas. Im Duft ist er ruhiger geworden, dafür aber auch ein wenig ‘fruchtiger’. Man riecht frische Orangenschalen und noch intensiver dunkle Bananen. Im Mund ist er würziger geworden, fühlt sich in der Mitte sogar weich an und hinterlässt einen etwas teigigen wie auch gelbfruchtigen Film. Der Wein ist dichter geworden, wirkt kräftiger und hat nichts von seiner lebendigen Säure verloren. Hauchzarte Gerbstoffe spürt man jetzt, die kecke Art ist selbstbewusster geworden, Ananas und Maracuja sind nach wie vor da, nur etwas nach hinten gewandert. Im Vordergrund steht jetzt mehr Erde, mehr Würze. Auch fühlt es sich jetzt eher nach Wein als nach naturtrübem Saft an. Es wirkt gereifter, entwickelter, gewachsen. Trotzdem ist man nach wie vor fasziniert von diesem feingliedrigen und leichten Gefühl im Mund. Es ist eine aussergewöhnliche Weinerfahrung weil man diese Kombination von Gefühl und Geschmack nicht kennt und einfach von ihr überwältigt wird. Der Amphorenwein lässt einen vergessen was man über Wein weiss und was man bisher von Wein gewohnt war. Morgen wird der Rest verkostet.
2. Verkostungstag
Nach 24 Stunden kommt der Rest des Amphorenweines erneut in den grossen Kelch. Er ist trüber geworden, im Duft noch erdiger, mineralischer, mit einem Hauch von Kalk. Im Mund ist wieder die Säure präsenter als am Abend zuvor, es fühlt sich wieder lebendiger, agiler an. Eine feine Tanninstruktur spürt man, sowie Kalk, Erde, gepresste Orangenschalen. Der Wein fühlt sich wie ein Mittelding zwischen rot und weiss an, macht orange als Farbe spürbar und erweckt eher den Eindruck ein schmackhaftes, bekömmliches ‘Lebensmittel’ als ein alkoholisches Getränk zu sein. Der Amphorenwein hat sich wieder in der Mittte zwischen Saft und Wein positioniert, vielleicht einen Tick mehr Richtung Wein, aber immer noch als naturtrüber Saft erkennbar. Auf der Zunge ist er nach wie vor butterweich, mild und dank der frischen Fruchtsäure sehr lebendig. Den Gaumen hüllt er in eine weiche Wolke aus Kalk, Maracujas und den schon braungelben Ananas ein. Es ist ganz kurz fast fruchtig was da seines Weges zieht. Im Abgang nach wie vor dicht und doch so leicht, stoffig und doch filigran, kalkig und leicht rauchig.
Resümee: Der Tropfen trägt eine Exotik in sich die man in keinster Weise erwartet hätte. Ebenso verwirrt er mit jedem Schluck aufs Neue, weil man sich nicht entscheiden kann wo man den Wein letztendlich einreihen soll. Ist es das was einen den Wein als Saft, oder eher den Saft als Wein wahrnehmen lässt? Man findet keine Antwort und wünscht sich diesen aussergewöhnlichen Tropfen noch über ein paar weitere Tage erleben zu können. Für mich persönlich ist der Amphorenwein das mysteriöseste das ich je getrunken habe. Würde es nicht gegen jede Konvention verstossen würde ich sogar behaupten, dass von diesem Elixier bereits zum Frühstück ein kleines Glas getrunken werden sollte. Als ‘Medizin’ oder einfach als ‘gesundes Saftprodukt’, denn Saft ist es ja am Ende auch. Dieser Wein ist einfach eine Offenbarung für all jene, die Neuem offen gegenüberstehen und sich einfach auf Unbekanntes vorbehaltlos einlassen. Der Amphorenwein ist Abenteuer pur und ich habe jede Minute mit ihm genossen.
Tipp: Drei bis vier Stunden in die Karaffe und dann bei 14-15º geniessen. Mit Absicht keine Speiseempfehlung da der Wein vor allem für sich selbst erkundet werden sollte. Geht locker über eine Woche und kann Tag für Tag aufs Neue erlebt werden.
Einen Bericht über den Amphorenwein lesen Sie auch hier.
Verkostet wurde ein Amphorenwein 2009 von Brigitte und Ewald Tscheppes Werlitschhof in Leutschach in der Steiermark, Österreich. Der Werlitschhof ist Mitglied der Wertegemeinschaft Schmecke das Leben.
Kategorie: Schmecke das Leben, Verkostet