Orange 1 Jahrgang 2008

| 26. Oktober 2012 ...alles

Mittelding zwischen Wein und Sherry.

Man tut sich schwer sich für eines zu entscheiden. Am Ende nimmt man beides weil es so aussergewöhnlich anders ist.

Winzer/Weingut: Wein & Sektmanufaktur Strohmeier, Steiermark, Österreich.

Lage/Herkunft: Die Trauben stammen von den verschiedenen Rieden des Weinguts in der Weststeiermark.

Flasche/Etikett: Das Erste was an der dunkelbraunen Burgunderflasche auffällt ist ihr ‘Häubchen’ aus Papier, das mit einem schlichten Stück Spagat festgebunden ist. Dieses Stück Papier ist aufgeklappt kreisrund mit gewelltem Rand und enthält zahlreiche Informationen über die Linie ‘Trauben, Liebe und Zeit’ in deutsch wie auch englisch. Ein interessanter Ansatz um ein wenig mehr über die Philosophie des Weines mitzuteilen. Gedruckt ist alles auf einer Art von Conqueror-Papier. Das Etikett selbst in ebensolcher rund-gewellten Ausführung in cremefarbigem Papier auf der Flasche aufgebracht, mit allem was den Wein betrifft in einem Papyrus-Font. Am Rückenetikett findet man alles über den Wein, den Rebsortenateil sowie Empfehlungen zu Trinktemperatur und der Hinweis, dass der Wein am besten aus dem Burgunderglas genossen werden sollte. Daran halten wir uns selbstverständlich, füllen den Wein in die grosse Karaffe um und geben ihm erst mal zwei Stunden um sich auf seinen Auftritt vorbereiten zu können.

Nachdem die letzten Tage im Zuge der Stratos-Projekts immer wieder von einer Launch time zu hören war, geben wir auch unsere hier durch. Um 9 Uhr 30 vormittag wird die Flasche aufgemacht und bevor der Wein in die Gläser kommt darf er darin einmal zwei Stunden zwar nicht reinen, aber immerhin ein wenig irdischen Sauerstoff atmen. Der Countdown steht also auf T -120 Minuten, sozusagen. Für diese Zeit kommt er in den Ballon in dem er ziemlich trübe, dafür aber umso oranger aussieht. Er macht seinem Namen alle Ehre und natürlich muss ich meine Nase auch kurz reinstecken. Um dabei von einem Duft nach getrockneten Marillen überrascht zu werden. Aber das wird sich sicher noch gewaltig ändern. Das Projekt ‘Orange’ hat begonnen und wir zählen die Minunten herunter. Um 11 Uhr 30 ist es dann soweit und die Natur-Cuvée aus Sauvignon Blanc, Chardonnay und Muskateller wird in den grossen Kelch gefüllt.

Im Glas: Dort steht der Orange 1 in seinem Namen alle Ehre machenden orange, leicht bernsteinfarbig, fast wie Sherry. Die Farbe ist nicht mehr ganz so trüb wie vor zwei Stunden, doch ist sie alles andere als klar. Das was wirklich ungewohnt ist ist die Tatsache, dass es sich bei diesem Wein um einen Weisswein handelt. Einen Weisswein der orange ist und der so überhaupt nicht nach Wein aussieht.

In der Nase: Im grossen Burgunderkelch steht ein süsser Duft, ähnlich dem eines Süssweines den ich kürzlich verkostet habe. Es riecht nach zerquetschten getrockneten Marillen aus denen der letzte Rest von Saft entweicht, nach Muskatnussm, fast wie Rosenblütenmuskateller den es hierzulande gar nicht mehr gibt und auch ein wenig nach Vanille und Karamell. Wenn man es nicht besser wüsste würde man viel Geld darauf verwetten, dass es sich hier um einen Süsswein handelt. Der Orange 1 basiert zwar zu 90% aus Sauvignon Blanc, riechen tut man jedoch nichts davon. Es ist der Muskateller der das ‘Dreier-Gespann’ von Rebsorten anführt und dominiert. Es duftet so dicht, so saftig und konzentriert marillig im Glas, dass man am liebsten reinspingen möchte. Einfach geil!

Im Mund: Was dann die Lippen passiert und auf der Zunge wie auch am Gaumen landet ist kilometerweit von dem entfernt, was man gerade noch gerochen hat. Da ist nichts mit süss, vielmehr fühlt es sich leicht herb, fast bitter am hinteren Gaumen an. Man schmeckt Marillen, Orangen und auch eine schöne Muskatwürze auf der Zunge, doch ist das alles jetzt nicht saftig sondern regelrecht ausgetrocknet, richtig mineralisch unterfüttert und von einer sehr leichten Struktur. Es fühlt sich nicht schwer an im Mund, es wirkt leicht auf der Zunge, es zieht herb über den Gaumen und man muss erst einmal in der Geschmacksbibliothek nachschlagen um die richtigen Begriffe und dann die richtigen Worte dafür zu finden. Das ist nichts was man mit ‘herkömmlichem’ Weisswein vergleichen kann, da gehen ganz andere Sachen ab. Zu allererst muss man sich damit abfinden, dass der Orange 1 fast, was heisst fast, richtig fein bitter ist. Auf eine wunderbare Art und Weise weil sie von einem Mix aus Frucht und Mineralik begleitet wird die mächtig intensiv und dicht ist. Ohne den Wein selbst mächtig zu machen. Unweigerlich steckt man dauernd seine Nase zurück ins Glas weil man nicht glauben kann, dass die beiden Empfindungen dermassen auseinander driften. Süss in der Nase, feinste Bitternote im Mund. Und trotzdem hüpft die dicke fette Marille weiter fröhlich im Kelch herum und lacht sich einen Ast ab weil sie mit ihren zwei Gesichtern absolut verwirrt. Die Zunge kommt nicht mit nachschmecken nach weil sich der Wein aufgrund seiner Textur augenblicklich in eine herbe Wolke verwandelt und am Gaumen bleibt der ‘Orange’ haften als wäre er mit Klebstoff versehen. Ewig lang im Nachhall, nicht enden wollend und ein wunderbar weiches, bitterfruchtiges Gefühl im Mund hinterlassend. So zeigt sich der Orange 1 nach dem ersten Glas und in sechs Stunden kommt das zweite an die Reihe.

17:30 Uhr ist es und somit Zeit den Kelch zum zweiten Mal zu füllen. Was sofort auffällt ist, dass sich das Bukett so gut wie nicht verändert hat, es duftet noch immer saftig süss nach gequetschten Marillen, nur ein wenig leiser und dezenter. Aber immer noch hat die Marille das Kommando im Becher. Farblich ist der Orange 1 etwas klarer geworden, wird aber sicher auch bis morgen kein Bergsee mehr werden. Geschmacklich hat er sich dahingehend verändert, dass er ein wenig weicher geworden ist. Er fühlt sich runder an im Mund und im Abgang sowie im Nachhall hat man eher das Gefühl einen feinen Sherry im Mund zu haben als einen Wein. Ein faszinierendes Erlebnis und eine ganz neue Weinerfahrung die man mit diesem Naturburschen macht. Frucht ist jetzt so gut wie keine mehr präsent, ganz fein nur mehr im Hintergrund, es hat sich so ziemlich alles auf Textur, auf ‘Gefühl’ anstelle von Geschmack zusammengefügt und man tut sich schwer genau zu beschreiben wie sich das anfühlt. Es ist wohl dieser nunmehr feinherbe Beschlag der am Gaumen haften bleibt, es ist nicht mehr so bitter wie zu Beginn, er ist ruhiger geworden und was jetzt ein wenig mehr in den Vordergund kommt ist eine feine Säureader die ihn sogar noch frischer als zu Mittag erscheinen lässt. Ganz am Anfang, an den Zungenrändern, und ganz am Schluss hat man den Eindruck, als würde ein kleines Stück Marille rund und saftig hervor hüpfen, sich triumphierend im Mund aufrichten und laut “es gibt mich noch” hinaus posaunen. Um 22 Uhr gibt´s einen ‘Gute Nacht-Durchgang’ und morgen geht es mittags weiter.

Tag 2

Wie erwähnt, habe ich dann am späten Abend noch einen Schluck genommmen und war mehr als erstaunt über die Wandlung des Orange 1 zu einem weichen und richtig samtigen Wein. Es kam fast vollmundig auf die Zunge und heute um knapp vor Mittag, also um die 24 Stunden später an der Luft, zeigt er sich komplett verändert. Im Duft ist nur mehr ein Hauch dieser saftigen Marillennoten vorhanden und es riecht erheblich würziger im Kelch. Karamell, Vanille und Holz sind fein miteinander verwoben, etwas wie dunkler brauner Honig steht daneben und insgesamt duftet es verhaltener, aber auch komplexer in der Nase. Auf der Zunge zeigt sich der Orange 1 recht rund, hat an Säure dazugewonnen und die anfänglich bittere Note fast komplett abgestreift. Er wirkt saftig, bleibt aber trotzdem äusserst trocken in der Wahrnehmung. Der Wein ist einerseits richtig weich geworden, man schmeckt jetzt ein wenig Herb-Fruchtiges, spürt Karamellnoten am Gaumen und eine gewisse Rauchigkeit, die aber eher als rauchiger Saft denn als holzige Erscheinung auftritt. Über die Zunge ziehen feine Gerbstoffe ohne dabei zu ‘schleifen’. Vielmehr üben Sie angenehmen Druck aus und kleiden sie in einen feinherben Mantel der mit einem saftigen ‘Futter’ ausgestattet ist. Zurück bleibt ein wohlig weiches, warmes und trockenes Gefühl an den Lippen und am Gaumen. Lange fühlt und schmeckt man den Orange 1 nach und fragt sich immer wieder was man da eigentlich trinkt. Es ist wie ein Mittelding zwischen Wein und Sherry und man tut sich schwer sich für eines zu entscheiden. Am Ende nimmt man beides dankend an weil es so aussergewöhnlich anders ist.

Resümee: Wer diesen Wein aufmacht sollte sich bewusst darüber sein, dass er nicht nur eine Flasche Wein aufmacht und sie mal einfach wegtrinkt. Das wäre der völlig falsche Ansatz und würde auch nicht wirklich Freude machen. Wer den Orange 1 aus der Flasche hüpfen lässt der sollte sich auf jeden Fall zwei Tage Zeit nehmen, ihn schluckweise über diese zwei oder sogar drei Tage verfolgen, sein Wesen und seine Wandlungsfähigkeit beobachten und sich an einem Wein erfreuen, den er am ersten Tag kennenlernen, am zweiten näher kommen und vielleicht, am dritten Tag, endgültig mit ihm Freundschaft schliessen darf. Auf jeden Fall ist der Orange 1 ein Wein für Menschen, die Zeit noch definieren können und imstande sind, sich selbst etwas zurück zu nehmen und sich einfach dem Spiel derselben auszusetzen.

Tipp: Servieren sie ihn um die 14-15º. Füllen sie ihn mindestens für 2-3 Stunden in die grosse Karaffe oder den Dekanter um. Danach haben Sie zwei Optionen: 1) Trinken sie ihn über 2-3 Tage und verfolgen sie wie er sich entwickelt oder 2) Trinken sie ihn überhaupt erst am zweiten Tag, nach 24 Stunden in der Karaffe an. Als Essensbegleitung viel zu schade, das ist Medidationswein, Wein um die Uhr zum Stehen zu bringen oder sie zumindest langsamer laufen zu lassen.

Einen Bericht über den Orange 1 lesen Sie auch hier.

Verkostet wurde ein Orange 1 – 2008, eine Cuvée aus Sauvignon Blanc, Chardonnay und Muskateller von der Wein & Sektmanufaktur Strohmeier aus St. Stefan o. Stainz in der Steiermark, Österreich. Die Wein & Sektmanufaktur Strohmeier ist Mitglied der Wertevereinigung Schmecke das Leben.

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Kategorie: Schmecke das Leben, Verkostet

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