Erde 2010

| 26. März 2013 ...alles

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Dieser Wein lässt einen die weltweit älteste Form der Weinherstellung hautnah erleben und entführt in eine neue, vergessene Geschmackswelt.

Winzer/Weingut: Weingut Maria & Sepp Muster, Leutschach/Steiermark, Österreich.

Lage/Herkunft: Von kargen, steinigen Opokböden aus steilen Weinhängen rund um das Weingut.

erde Flasche/Etikett: Schon das Gebinde das mit der ‘orangen Erde’ gefüllt ist, ist ein Hingucker. Nicht aus Glas ist es, sondern aus schlichtem Ton gebrannt. Authentischer kann man Wein dieser Art nicht ‘verpacken’. Wie alle anderen Etiketten die auf den Flaschen von Maria & Sepp Muster kleben ist auch dieses der Landschaft gewidmet und stilisiert sie wie gehabt in ansprechender Art und Weise. Wie schon im letzten Bericht erwähnt stammt das Design mit dem Namen ‘Horizonte’ vom 2009 verstorbenen Lehrer, Maler und Bildhauer Beppo Pliem. Perfekt an die Farbe des Tongebindes und auch an den Namen dieses Weines angepasst, dominieren die Farben braun und gelb und sorgen für ein wohlig warmes Erscheinungsbild. Unten wieder Muster ‘eingebrannt’ und in üblicher Schreibmaschinenschrift der Name Erde eingetippt. Am Rückenetikett eine Kurzeinführung in die Weinbereitung, die ursprünglich Quevri heisst und heute in der Regel für Orange Wines steht. Dazu ein Hinweis auf die empfohlene Trinktemperatur wie auch darauf, dass der Wein biologisch-dynamischem Anbau entstammt und demeter® zertifiert ist.

Bevor der Wein aber in die grossen, blankpolierten Burgundergläser kommt wird er bereits um 9 Uhr morgens in die grosse Karaffe umgefüllt und darf sich dort bis mittags mit sich selbst beschäftigen.

Im Glas: Die Erde kommt ins Glas, in welchem es zwar durchaus ‘orange’, aber nach wie vor sehr trüb aussieht. Was sofort auffällt ist a) wie trüb der Wein ist, was aber nicht verwundert, wird er völlig ungefiltert abgefüllt und b) dass die Farbe des Weines perfekt mit jener des Gebindes harmoniert (siehe Foto unten). Böse Geister könnten meinen, dass man das locker im Labor abgeben könnte.

In der Nase: Selbstverständlich habe ich unmittelbar nach dem Umfüllen die Nase in die Karaffe gesteckt und war mehr als erstaunt. Da war nichts, so gut wie nichts nichts. Jeder ‘normale’ Sponti stinkt mehr aus dem Kanister raus als das was hier drin ist. Das Abenteuer hat somit begonnen. Nach weiteren drei Stunden dann noch einmal die Nase rein gesteckt und… nach wie vor mehr oder weniger Funkstille in der Karaffe. Verwirrend, spannend, ungewohnt, was auch immer. Nach wie vor tut sich nicht viel in der Nase, man merkt aber, dass der Wein sich zu öffnen beginnt und ganz verhalten die ersten Aromen freigibt. In erster Linie riecht es kalkig, eine leichte Würze steht darüber und leicht kräutrig-senfige, auch ganz feine hefige Duftspuren ziehen vorbei. Alles aber nach wie vor sehr gut versteckt und in sich gekehrt.

Im Mund: Und dann der Augenblick der ersten Wahrheit. Unscheinbar zieht der Wein über die Lippen hinweg und kaum nimmt man ihn auf der Zunge wahr, merkt man was es heisst wenn ein Weisswein wie ein Rotwein ausgebaut wird. Da lässt sich eine dichte Struktur, vollgepackt mit ausgepräten, aber trotzdem sanften Gerbstoffen auf ihr nieder und vermittelt einem das Gefühl eher Rot- als Weisswein im Mund zu haben. Und doch schmeckt es anders, fühlt es sich anders an. Man ist verwirrt, staunt, schmeckt nach und nimmt den nächsten Schluck. Um wieder von vorne zu beginnen. Wer versucht irgendeine Frucht zu finden, der könnte genauso gut im Dunkeln versuchen Zeitung zu lesen. Nichts da, nur Boden, Boden und nochmals Boden. Erde, wenn man so will, was in diesem Fall dem Namen des Weines vollauf gerecht wird. Es fühlt sich einerseits sehr frisch im Mund an, fast säurebetont, was sich aber schlagartig mit dem prägnanten Kalkton vermischt und pure Mineralität über die Zunge zieht. Am Gaumen bleibt ein leichter Bitterton haften, der aber nicht unangenehm ist, sondern in Kombination mit der intensiven Aromatik ein echtes Erlebnis darstellt. So viel Textur der Wein hat und so komplex er ist, so puristisch, fast nackt wirkt er im Mund, rein und abgespeckt von allem unnötigen Beiwerk. Immer mehr fasziniert mich persönlich wie sanft und weich sich die Gerbstoffe an den Lippen festsetzen und dort einen weichen Film über sie legen. Man trinkt nicht weiss wie man es kennt, man denkt es ist rot und fühlt, dass hier tatsächlich eine andere Farbe im Spiel ist. Das ist kein Wein zum Schmecken, dieser Wein ist da um ihn zu fühlen.

karaffe + flasche Schon am Nachmittag wird nachverkostet um zu sehen wie sich der Wein in den paar Stunden verändert hat. Duftmässig ist es nach wie vor leise, vielleicht ein wenig intensiver, auf jeden Fall aber noch ausgeprägter von kalkiger Mineralik durchzogen. Auch im Mund dominiert jetzt noch mehr dieses Kalkige, es scheint als würde man den Boden spüren dem der Wein entstammt. Es ist dichter, kompakter geworden und auch was das Gerbstoffgerüst angeht ist dieses ausgeprägter als zuvor. Etwas leicht Salziges ist hinzugekommen, ganz leise, ganz fein benetzt es Zunge und Wangen. Nach ein paar weiteren Stunden in der Karaffe, um 19 Uhr, ist alles beim Alten und so wie das aussieht, geht der Wein locker über ein Woche. Nach zehn Stunden unverändert im Mundgefühl, nach wie vor frisch und agil und trotzdem weich und mild. Das einzige abseits der ‘Bodenverhältnisse’ wahrnehmbare ist eine feine Würze die dem Tropfen eine fast schon freche Note verleiht. Es ist beeindruckend wie sehr dieser Wein den Boden kommuniziert, wie sehr man ihn fühlt und weniger schmeckt und wie dicht gepackt er ist. Trotz dieser Dichte und Kompaktheit spürt man aber auch wie fragil und leicht gewirkt er mit seinen gerademal 11,5% daherkommt. Dort wo er sich mit Nachdruck festsetzt ist am Gaumen. Da zeigt er Charakter, auch Kraft, dort wirkt er lange nach um sich langsam in einer Wolke aus Gips und Kalk aufzulösen. Morgen geht es weiter.

2. Verkostungstag

So sehr ich gehofft habe, dass sich der Wein über Nacht ein wenig verändern würde (schon allein wegen neuer Eindrücke), so sehr ist es bei der Hoffnung geblieben. Er steht völlig unverändert im Glas, riecht keinen Millimeter anders als am Tag zuvor und schmeckt bzw. fühlt sich genauso unverändert im Mund an. Als wäre er gerade aufgemacht und eingegossen worden. Im Gegensatz zu all den anderen bisher verkosteten Naturweinen, welche sich allesamt laufend verändert und in neuem Kleid gezeigt haben, ist dieser Wein ein echter Steher. Es ist erstaunlich wie frisch er nach wie vor ist und mit welcher Eleganz er seinen Gerbstoffmantel auf die Zunge und den Gaumen legt. Man denkt unweigerlich an Rotwein um im selben Augenblick zu realisieren, dass das nicht rot schmeckt. Es schmeckt aber auch nicht wirklich weiss, was einen umso mehr verwirrt weil man so etwas nicht kennt. Und doch macht es grossen Spass im Mund dieses flüssige Etwas zu spüren. Ich glaube es könnte keinen treffenderen Namen als Erde für diesen Wein geben, denn das ist es was der Geschmackssinn hier erlebt.

Resümee: Eindrucksvoller kann man wohl den Boden nicht in die Flasche bringen und einen so in eine wahrlich andere Geschmackswelt entführen. In welche man sich aber, das sei dazu gesagt, auch entführen lassen möchte. Und das ist auch das Credo dieses Weines: Wer Angst hat etwas zu trinken, das so weit abseits des antrainierten Geschmacksemfpindens liegt, der möge sich von solchen Weinen ganz weit fern halten. Wer allerdings auf echte Abenteuer steht und Wein in all seinen möglichen Facetten kennenlernen und erleben will, der sollte sich einmal so eine Flasche gönnen und sie über ein, zwei und auch mehrere Tage oder sogar Wochen erforschen und dabei gleichzeitig seinen Horizont um ganze Galaxien erweitern. Dieser Wein lässt einen die weltweit älteste Form der Weinherstellung hautnah erleben und entführt in eine Geschmackswelt, die heute so gut wie vergessen ist. Sind SIE bereit für so ein Abenteuer? Dann trinken Sie ‘orange’.

Tipp: Zwei bis drei Stunden Luft würde ich empfehlen, bin aber ziemlich sicher, dass der Wein auch schon nach einer ‘bereit’ ist. Am besten bei ca. 14º zu geniessen, da ‘spürt’ man ihn am intensivsten. Und dann die Füsse hoch und in eine andere Welt eintauchen.

Einen Bericht über den Erde 2010 lesen Sie auch hier.

Verkostet wurde ein ‘Orange Wine’ Erde 2010 von Maria & Sepp Muster vom Weingut Muster in Leutschach in der Steiermark, Österreich. Das Weingut Muster ist Mitglied der Wertevereinigung Schmecke das Leben.

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Kategorie: Schmecke das Leben, Verkostet

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